Ein Kaffeehaus mit Geschichte

Im ODEON wurde und wird Geschichte geschrieben. Seit 1911 war das Lokal ein Treffpunkt berühmter Politiker, Schriftsteller, Dichter, Maler und Musiker: Oberst Ulrich Wille (General der Schweizer Armee im ersten Weltkrieg), der russische Revolutionär Lenin, die niederländische Tänzerin und Spionin Mata Hari, der Physiker Albert Einstein und Benito Mussolini gingen im ODEON ein und aus. 

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das ODEON zu einer Art «Zentrale für Emigranten». Klaus Mann, Alfred Kerr, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch und Rolf Liebermann kehrten regelmässig hier ein.

Wegen der Krawalle der 70er Jahre musste das ODEON 1972 schliessen. Bei der Wiedereröffnung blieb ein Drittel als Café erhalten, zwei Drittel wurden zunächst eine Boutique und danach – und bis heute – eine Apotheke.

Dass die Jugendstileinrichtung erhaltenswert ist, stellte man schon früh fest und setzte sie unter Denkmalschutz. Der rötliche Marmor, die Garderoben und sogar die Tischbeine erinnern noch heute an alte Zeiten.

1911

Am Sonntag, den 1. Juli 1911, um 18 Uhr öffnete das «Grand Café ODEON» seine Türen. Ein prächtiges Jugendstil-Kaffeehaus mit eigener Konditorei im Keller und einem Billardraum im 1. Stock. Charakteristisch für den Jugendstil war es ein sehr grosser, hoher Raum, mit grossen Fenstern, Kronleuchtern, Messingverkleidungen (vegetabile-lineare Ornametik) und Marmor verkleideten Wänden. Dieser grossartige Stil ist auch heute noch das Kennzeichen der Café Bar ODEON. Die damalige Eröffnung fand unter der Leitung vom Münchner Restaurateur Josef Schottenhaml statt, der das ODEON viele Jahre führte und seine berühmten Gäste persönlich kannte.

Die Namen aller Schriftsteller, Dichter, Maler und Musiker aufzuzählen, die im ODEON ein- und ausgingen, ergäbe sicherlich einen lückenlosen Querschnitt durch die musische Prominenz von weit mehr als einem halben Jahrhundert. Nur einige seien genannt, welche sich die Klinke des ODEONS in die Hand gaben und ihm den Ruf eines Intellektuellentreffpunktes verliehen: Franz Werfel, der österreichische Lyriker und Erzähler war 1918 zum Aufführen des Stückes «die Troerinnen» nach Zürich gekommen. Das Stück hatte zu nie vorher erlebten Friedensdemonstrationen geführt.

Weitere illustre Gäste waren Stefan Zweig, Frank Wedekind und Karl Kraus, Verfasser der «Fackel» sowie William Sommerset Maugham, Verfasser von Theaterstücken und Kurzgeschichten oder Erich Maria Remarque, der Autor des Antikriegsromans «Im Westen nichts Neues». Aber auch: Kurt Tucholsky, Ernst Rowohlt, Klaus Mann und Alfred Kerr. Der irische Autor James Joyce verbrachte insgesamt rund 5 Jahre in Zürich, unzählige Stunden davon im ODEON. In seinen Werken tauchten immer wieder Namen von Zürcher Strassen und Plätzen, Lokalen oder Personen in verschlüsselter Form auf. Ein Vertrauensmann der Emigranten und Stammgast im ODEON war Dr. Emil Oprecht, Verleger und Buchhändler in der Rämistrasse. Er half vielen Schriftstellern, indem er deren Werke druckte und auf den Markt brachte.

1915

1915 verwirrte eine Gruppe junger Bohemiens mit seltsamen Tischgesprächen das Servicepersonal und die Gäste. Der Bildhauer und Dichter Hans Arp und seine Freundin, die Tänzerin, Kunstgewerbelehrerin und Künstlerin Sophie Taeuber sowie der Schriftsteller Tristan Tzara, der Schauspieler und Dramaturg Hugo Ball, seine Freundin, die Diseuse und Dichterin Emmy Hennings, der Dichter und Maler Richard Huelsenbeck und der Bildhauer Marcel Janco schlugen im ODEON ihr Stammquartier auf – und verschafften dem Café den lang anhaltenden Ruf, die Wiege des Dadaismus zu sein. Die Dadaisten protestieren in ihren Thesen und Parolen nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen alle gesicherten bürgerlichen Überzeugungen.

Berühmte Musiker, die im ODEON einkehrten waren Wilhelm Furtwängler, Franz Léhar, Arturo Toscanini und Alban Berg. Im Cabaret-Dancing im ersten Stock trat die exzentrische Tänzerin Mata Hari auf, die nur zwei Jahre später von Frankreich als Spionin verurteilt und hingerichtet wurde. Auch Wissenschaftler wie Albert Einstein, der hier gerne mit einer Schar Studenten der Eidgenössischen Technischen Hochschule diskutierte, gehörte zu den Stammgästen. Benito Mussolini, damals noch feuriger Anarchist und Lenin, der sich ganz der Zeitungslektüre widmete sowie Trotzki seien stellvertretend für die Politiker genannt.

Die Erfindung des «Cüpli»

Ein langjähriger Stammgast war Ferdinand Sauerbruch, Direktor der chirurgischen Klinik des Kantonsspitals. Er erregte bei den Zürchern Anstoss wegen seines Champagnerkonsums. Nach getaner Arbeit pflegte er allabendlich eine Flasche zu sich zu nehmen. Vermeintlich schwor er unter dem Druck der öffentlichen Meinung dieser Gewohnheit ab. Doch er war nur diplomatischer geworden: Die riesige Kaffeekanne, aus der ihm Ober Mateo augenzwinkernd einschenkte, verbarg nicht dampfenden Kaffee, sondern prickelnden Champagner. Sauerbruch liess sich von Mateo überzeugen, dass der Champagner aus einer Kaffeetasse fast genauso gut schmeckte wie aus dem Kristallglas. 

Von dieser Finte profitierte nicht nur der Ruf des Chirurgen, sondern auch die einfachere Klientel. Die Aktion brachte die Betreiber des ODEONs auf den Plan, den Schaumwein per Glas, oder eben Coupe anzubieten und so das einstige Luxusgetränk auch Normalsterblichen zugänglich zu machen: Das beliebte «Cüpli» war geboren.

In den Jahren bis zum ersten Weltkrieg konnte man hier die ganze Nacht sitzen, Polizeistunde war ein Fremdwort. Im Zeitungsregal stapelten sich viele internationale Blätter, daneben war noch Platz für ein Konversationslexikon und eine Benzindose zum Auffüllen der Feuerzeuge. Dicker Rauchdunst gehörte in ein echtes Wiener Café so wie die versierten Kellner und die verschiedenen Spiele. Schach wurde im ODEON grossgeschrieben, und jeden Freitag erschien Oberst Wille, der spätere General, zu einer kleinen Jassrunde.

1930

In den dreissiger Jahren und während des Krieges war das ODEON Drehscheibe und gleichzeitig Heimat einer geistigen, politischen und gesellschaftlichen Elite, die vor dem damals grassierenden Faschismus in Europa auf der Flucht sein musste.

1950

Nach dem zweiten Weltkrieg blieb das ODEON zentraler Treffpunkt einer jungen Generation, die den Aufschwung und die Zukunft der fünfziger Jahre plante. Als junger Mensch besass man damals höchstens ein Zimmer in Untermiete; so blieb das ODEON weiterhin für viele ein Fast-Zuhause und eine Stätte der Begegnung.

1970

Anfang der siebziger Jahre wurde das ODEON von den Nachbeben der Globuskrawalle in Mitleidenschaft gezogen. Das selbstverwaltete Jugendzentrum Lindenhof lief komplett aus dem Ruder und das Zürcher Bellevue und die ansässigen Lokale gerieten ins Kreuzfeuer der Randalen. Die damalige Drogenszene vereinnahmte das ODEON und hinterliess die geschichtsträchtige Jugendstil-Einrichtung weitgehend verwüstet. Im Frühjahr 1972 wurde das Café polizeilich geschlossen.

Mitte 1972 stellte die Stadt das Gebäude unter Denkmalschutz und das Lokal wurde renoviert. Aus Gründen besserer Überschaubarkeit und Kontrolle wurde gleichzeitig die Restaurantfläche verkleinert und das ODEON konnte fortan nur noch durch den westlichen Eingang betreten werden. Im Teil des ehemaligen Cafés war erst eine Boutique eingemietet, bevor sich die heute noch bestehende ODEON Apotheke installierte. 

Das Kaffeehaus hatte noch immer einen verruchten Ruf, als Fred Tschanz es übernahm. Seine Unerschrockenheit und nicht zuletzt auch sein Geschäftssinn bewegten ihn dazu, seine Klientel neu zu definieren. Statt von der Rocker- und Drogenszene, sollte das ODEON vermehrt von einer distinguierten Gay Community frequentiert werden. Er setzte sich persönlich dafür ein, dass das ODEON wieder zum sicheren Hafen wurde, den es Anfang der sechziger Jahre war. (Der mehrfach prämierte Schweizer Film Der Kreis zeigt das ODEON als Treffpunkt der frühen Zürcher Schwulenszene.) Erst schloss Fred Tschanz einen Pakt mit den Hells Angels, um das ODEON von Aggressionen frei zu halten. Danach warb er seine Klientel aktiv an, oder besser gesagt anderen Schwulenbars ab.

1990

Der Plan des umtriebigen Gastronomen Fred Tschanz ging auf. Eine spendierfreudige und extravagante Kundschaft prägte fortan den Geschäftsgang und das Ambiente seiner Bar. Selbst als das Schreckgespenst HIV die Vorurteile gegen Homosexuelle wieder verhärtete, blieb das ODEON ein Fels in der Brandung. Als Ort des Austausches und der gegenseitigen Unterstützung förderte es indirekt das Selbstverständnis der hiesigen Gay Community und deren Akzeptanz in der Gesellschaft. Zeitlebens bereute es Fred Tschanz nicht, das in Verruf geratene Lokal, ohne zu zögern, übernommen zu haben.

Heute

Die Zeiten haben sich geändert – die Tradition ist geblieben. Das ODEON ist aus unserer Stadt nicht mehr wegzudenken. Gäste jeden Alters und Berufes und aus allen gesellschaftlichen Schichten kehren bei uns ein: Frühaufsteher, Touristen, Geschäftsleute oder Nachtschwärmer finden im ODEON zu jeder Tageszeit ein passendes Angebot und einen Platz zum genüsslichen Sein. Dafür ist unsere Küche durchgehend offen, bis eine Stunde vor Geschäftsschluss. 

Im Jahr 2022 feiern wir den 50-jährigen Betrieb des ODEONs durch Fred Tschanz Gastgewerbe. Dies nahmen wir zum Anlass, das geschichtsträchtige Interior in sorgfältiger Handarbeit aufzufrischen. Die Marmorverblendungen an den Wänden, der silberne Champagnerkübel auf der Theke aus massivem Mahagoni mit Handläufen aus Messing, die Holzbänke – all diese Elemente prägen den Geist des ODEONs. Um diesen zu erhalten und in die Zukunft zu tragen, scheuen wir keine Investitionen.  

Unsere über 100-jährige Geschichte geht weiter, dank unseren heutigen Gästen und unserem Willen, das ODEON als gastfreundlichen Ort der Begegnung im Herzen der Stadt Zürich (und der Zürcherinnen und Zürcher) zu pflegen.


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